Die B30 ist die 102 Kilometer lange zentrale Nord-Süd-Achse durch Oberschwaben – die wichtigste Verbindung zwischen den beiden wirtschaftlich starken Endpunkten Ulm im Norden und Friedrichshafen am Bodensee. Doch gemessen an ihrer Bedeutung ist der Ausbauzustand der B30 über viele Kilometer hinweg eher bescheiden. Die Straße ist zu schmal, zu nah an den Menschen und Neubauprojekte geraten ins Stocken. Scrollen Sie sich durch unsere interaktive Landkarte und erfahren Sie mehr über die Orte und Themen der Menschen an der Bundesstraße.
Die Geschichte der B30 reicht zurück bis in die Römerzeit. Bereits damals war der Weg vom Bodensee zur Donau so wichtig, dass eine befestigte Straße gebaut wurde, die nach dem Ende des Imperiums verfiel. Es blieben aber vielbefahrene Karrenwege.
Aus ihnen entstand im Verlauf der Jahrhunderte eine württembergische Staatsstraße, dann in den 1930er Jahren die Reichsstraße 30.
1969 beschlossen die Verkehrsplaner der Bundesrepublik schließlich, eine Verbindung von Günzburg über Ulm nach Friedrichshafen autobahnähnlich auszubauen. A89 sollte die Strecke heißen und ein Ersatz für die B30 sein.
Auf diese Pläne geht der vierspurige, autobahnähnliche Ausbau der heutigen B30 zwischen Ulm und Biberach sowie zwischen Baindt und Ravensburg zurück.
Obwohl bei Ulm durchschnittlich rund 40.000 Fahrzeuge in 24 Stunden fahren, an Wochentagen sogar noch mehr, verträgt die B30 den Verkehr noch einigermaßen. Der Grund: Sie ist dort wie eine Autobahn, mit zwei Fahrspuren je Richtung, ausgebaut.
Doch wer anfangs noch von einer Autobahn zu träumen wagte, wurde bereits in den 1970er Jahren in die Wirklichkeit zurückgeholt. Die politischen Verhältnisse veränderten sich so, dass die A89 in weite Ferne rückte.
Nach der Wiedervereinigung verlagerte sich der Schwerpunkt auf Infrastrukturprojekte in den neuen Bundesländern. Damit sei aber, so sagen Kritiker, nach dem Aus der Autobahn auch die Bundesstraße in der Verkehrsplanung vernachlässigt worden.
Überlastete Streckenabschnitte, enge Kurvenradien und Ortsdurchfahrten seien heute nicht mehr zeitgemäß, Sanierungen und anstehende Ausbauaufgaben zurückgestellt oder aufgegeben worden.
1990 eröffnete die 32 Millionen Mark teure B30-Umgehung im Bereich Laupheim. Schon damals hieß es, dass die B30 „die Lebensader der Region“ sei. Ministerialdirektor Walter Stoll aus dem Bundesverkehrsministerium erklärte bei der damaligen Eröffnung, dass das Ziel von Bund und Land sei, die B30 bis südlich von Ravensburg vierspurig auszubauen. Auf einen Zeitplan wollte er sich jedoch nicht festlegen.
Ein besonders schwerer Unfall ist im Januar 2013 auf der B30 geschehen, so das Polizeipräsidium Ulm auf Nachfrage. Es bearbeitet Unfälle, die auf der Strecke zwischen Ulm und Biberach passieren - so wie an diesem Tag. Auf Höhe Donaustetten-Gögglingen hat es damals einen schweren Unfall in einer Nebelwand gegeben. Zwölf Fahrzeuge waren beteiligt, drei Personen wurden getötet und 16 Menschen verletzt.
Seit 2007 gibt es im Landkreis Biberach und seit 2013 im Alb-Donau-Kreis Tempolimits. Die Polizei versucht mit regelmäßigen Kontrollen das Unfallrisiko zu senken. „Das sorgt für mehr Sicherheit auf den Straßen", so die Polizei. Auch neue Fahrbahnmarkierungen sollen dabei helfen.
Doch auch wenn der Verkehr zugenommen hat, gebe es nicht mehr Unfälle, betont die Polizei. „Durch ihre überregionale Bedeutung stehen Unfälle und damit Störungen natürlich in besonderem Fokus“, so das Präsidium Ulm.
Viele Unfälle gibt es laut Polizei wegen nicht angepasster Geschwindigkeit, Abkommen von der Fahrbahn oder Witterungseinflüssen. „Auch die Zusammenarbeit mit den Straßenmeisterstellen und den Feuerwehren sind wegen der erhöhten Gefahr auf der B30 besonders eng und gut“, so das Präsidium.
Die Feuerwehren entlang der B30 haben häufig mit schweren Unfällen zu tun. Die Werkzeuge hydraulischer Spreizer und hydraulische Schere gehören dort zur Standardausstattung.
Doch nicht nur technisch können die Autounfälle herausfordernd sein – auch seelisch. „Die Feuerwehrleute helfen sich meist in der ersten Phase selbst durch Gespräche“, sagt Florian Retsch, Kommandant der Feuerwehr Biberach.
Er hat auch Tipps, wie man auf der B30 sicherer unterwegs sein kann.
Wieso ist die B30 teilweise so schlecht ausgebaut?
„Das Problem ist, dass die Verantwortlichen in den 60er Jahren zwar die Wichtigkeit erkannt haben, die Straße zu ertüchtigen, aber nur zwischen Ulm und Biberach sowie Weingarten und Ravensburg“, sagt Franz Fischer von der Initiative B30. Der Bereich zwischen Biberach und Baindt blieb demnach außen vor. „Ortsumfahrungen sah der Bedarfsplan nicht mehr vor, aber einen autobahnähnlichen Ausbau durch die Orte.“ Es folgten politische Entscheidungen auf Bundes-, Landes- und Kreisebene der Region, die konkrete Bauarbeiten über Jahre hinauszögerten. Die Landkreise Sigmaringen, Ravensburg und der Bodenseekreis wollten eine regionale Planungsgesellschaft gründen. Doch deren Zukunft ist ungewiss - und deren Erfolg auch
Wo wurden die falschen politischen Entscheidungen getroffen?
„Nach den mir vorliegenden öffentlichen Informationen hat sich auf Bundes- und Landesebene nie ein Politiker intensiv und mit Nachdruck für den Lückenschluss der B30 zwischen Biberach und Baindt eingesetzt“, sagt Franz Fischer deutlich. Lediglich beim aktuellen Bundesverkehrswegeplan 2030 habe es in den Bereichen Gaisbeuren und Enzisreute politische Unterstützung gegeben. Auch im Verkehrsausschuss des Bundestages sei die Region jahrelang nicht gut vertreten gewesen, kritisiert Fischer. „Dies änderte sich erst, als der CDU-Politiker Andreas Schockenhoff in den Bundestag einzog sowie die Gemeinde Bad Waldsee in den Wahlkreis Ravensburg eingegliedert wurde“, so Fischer.
Warum ist die Vernachlässigung des B30-Ausbaus ein so großes Problem?
Fischer sagt: „Die B30 ist eine der stärksten befahrenen Bundesstraßen in Deutschland. Der Einzugsbereich der B30 umfasst mehr als eine Million Menschen“. Auch für die Wirtschaft sei die Bundesstraße von essenzieller Bedeutung. Blockierte Straßen seien nicht nur für die Menschen und ihre Gesundheit, sondern auch für Unternehmen ein großes Problem. „Ravensburg, Gaisbeuren und Enzisreute gehören zu den 2,2 Prozent der am höchsten vom Verkehr belasteten Ortsdurchfahrten im Bundesstraßennetz in Deutschland“, so Fischer.
An der Anschlussstelle Bad Waldsee-Nord soll ein Rasthof mit 24-Stunden-Tankstelle und Shop, Waschpark, Systemgastronomie und Hotel garni entstehen. Der Widerstand gegen das Projekt ist groß, auch ein Bürgerbegehren stand im Raum.
Mit einer Demonstration in der Innenstadt wollten die Gegner im März 2019 ein Zeichen setzen – rund 120 Teilnehmer schlossen sich dem Protestmarsch an. Den Kritikern geht es unter anderem um Flächenverbrauch, Verkehr, Müll – und um Konkurrenz.
Unbeeindruckt zeigte sich unterdessen Elmar Lutzenberger, geschäftsführender Gesellschafter der Firma „Lupe – Lutzenberger Projektentwicklung“. Seine Firma betreibt derzeit acht Rasthöfe in Deutschland.„Und es soll noch der ein oder andere dazukommen – einer in Bad Waldsee“, sagte Lutzenberger zuversichtlich. Das Hotel soll einmal 74 Doppelzimmer haben und insgesamt könnten 55 bis 60 Arbeitsplätze mit dem Rasthof entstehen, so Lutzenberger.
Eine Interessengemeinschaft der Rasthofgegner überreichte Ende April rund 1800 Unterschriften für einen Bürgerentscheid an die Stadtverwaltung. Ein möglicher Bürgerentscheid musste aufgrund eines Formfehlers allerdings abgelehnt werden. Der Gemeinderat, der den Bürgerentscheid dennoch auf den Weg hätte bringen können, lehnte ab. Der Weg für den Rasthof ist damit frei.Die Ortsdurchfahrt von Gaisbeuren gilt als Nadelöhr auf der Route. Dabei sind nicht nur die Menschen aus dem Ort betroffen, die die Straße überqueren oder auf sie auffahren müssen, sondern auch Pendler, die zwischen Ravensburg und Biberach zu Stoßzeiten im Stau stehen.
„Es ist eine Lebensader in Oberschwaben, die leider hier in Gaisbeuren sträflich vernachlässigt wurde“, sagt Achim Strobel, Ortsvorsteher von Reute-Gaisbeuren.Bereits in den 80er Jahren begann der vierspurige Ausbau der Bundesstraße zwischen Egelsee und Niederbiegen – vor allem aber die dafür notwendigen Vorarbeiten. Doch wie heute auch hatten die Planer mit Gerichtsurteilen und Finanzierungsfragen zu kämpfen. Sogar die Schussen musste für die Arbeiten verlegt werden.
1990 gab es einen Ideenwettbewerb, um die Ravensburger Ortsumgehung zu verwirklichen.
Ziel war es laut dem damals zuständigen Straßenbauamt Ravensburg „für den Straßenbau eine optimale gestalterische Gesamtlösung aus einem Guss zu finden, und dies unter den besonderen Bedingungen der landschaftlichen und baulichen Aspekte“. Dazu zählen zum Beispiel die Galerie vor dem Tunnel unterhalb des Wohngebiets Gossnerhalde, begrünte Stützkonstruktionen sowie neue Wege im Landschafts- und Naturschutz.
Im Juli 1995 wurde die Straße schließlich eröffnet – zum Auftakt des Ravensburger Rutenfests. Drei Jahre später, im September 1998, starteten die Baumaßnahmen für den sogenannten Nordbogen, um Ravensburg, Baienfurt, Baindt und Weingarten komplett umfahren zu können. 2001 waren die Arbeiten beendet.
Seit Dezember 2019 fließt der Verkehr nicht mehr durch die Südstadt in Ravensburg, sondern über die B30 weiter Richtung Süden.
Die 5,5 Kilometer lange Strecke zwischen Ravensburg Süd und Untereschach/Hegenberg gilt als Meilenstein beim Ausbau der B30. Besonders in Untereschach war die Belastung zuvor hoch, weil der Verkehr durch die Ortschaft rollte.
Ein kleiner Abschnitt der Neubaustrecke war bereits einige Monate zuvor für den Verkehr freigegeben worden. Kurz vor Weihnachten 2006 waren die ersten Arbeiten mit der Verlegung der Schussen gestartet. Rund 80 Millionen Euro soll die Straße am Ende gekostet haben.
Die B30 durchschneidet Meckenbeuren auf rund 3,5 Kilometern Länge und sorgt dort regelmäßig für viel Lärm – und für gefährliche Situationen. „Vergangenes Jahr hat es einer geschafft, sich gleich bei meinem Lokal mit dem Auto zu überschlagen und gegen eine Betonmauer zu prallen. Ein paar Meter weiter vorne wäre er in den Gastgarten geflogen“, erinnert sich Alfio La Mela mit Schrecken.
Er betreibt das Restaurant Da Alfio in Meckenbeuren. Sein Lokal liegt deutlich innerorts, die Straße davor ist aber schnurgerade. Offenbar eine Gaspedal-Herausforderung. La Mela meint: „Teilweise rasen sie hier wie die Verrückten – besonders nachts. Das macht dann nur noch 'tschum'.“ Der Lärm sei manchmal fast unerträglich, ebenso die Abgase, sagt er.
Die Gemeinde Meckenbeuren hat deshalb einen Lärmaktionsplan erstellen lassen. In dem von einem Fachbüro ausgearbeiteten Dokument heißt es dazu: „Die Gemeinde Meckenbeuren mit ihren Ortsteilen ist in erheblichem Umfang von Umgebungslärm betroffen, da das Gemeindegebiet von zwei Bundesstraßen durchschnitten wird. Hinzu kommen der Schienenverkehrs- und Fluglärm sowie der Straßenverkehrslärm der Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen.“
Laut Umweltbundesamt reicht schon geringer, andauernder Lärm, um gesundheitliche Beeinträchtigungen hervorzurufen - zum Beispiel Kreislauferkrankungen, Schlafstörungen oder Konzentrationsschwierigkeiten.Um den Menschen im Ort mehr Lebensqualität zu bieten, hat die Gemeinde temporäre Tempolimits auf der Straße beschlossen, Fahrbahnbeläge erneuert und Ampelschaltungen modernisiert. Für Geschäftsmann Manfred Gommeringer, der direkt an der B30 lebt und dort einen Laden betreibt, hat die Bundesstraße Vor- und Nachteile, erzählt er im Interview.
Mit dem südlichsten Abschnitt der B30 endet diese zwar in Friedrichshafen, doch der Verkehr fließt weiter, zum Beispiel auf die B31 Richtung Westen oder nach Osten in Richtung A96.
Um Gemeinden wie Meckenbeuren zu entlasten, wurde seit 2003 die West-Trasse geplant, die nordwestlich an Meckenbeuren vorbeiführen sollte. Doch bereits drei Jahre später gab es Änderungen im Naturschutz- und Umweltrecht – mit weitreichenden Folgen für die West-Trasse. Eine geeignete Streckenführung musste nun in einem deutlich größeren Korridor gesucht werden.2018 schließlich wurde klar, dass die Ost-Trasse von den Planern aus dem Regierungspräsidium favorisiert wird – ein 164-Millionen-Euro-Projekt, das nördlich von Tettnang über Wiesen und Felder führen soll. Doch dagegen regt sich in Tettnang und Meckenbeuren Widerstand.
Die Hauptargumente der Gegner: Die Ost-Trasse ist 5,5 Kilometer länger, zerstört landwirtschaftliche Flächen mit Sonderkulturen und belastet viel mehr Menschen mit Lärm und Abgasen als die Variante West. Doch selbst mit erheblichen Mehrkosten, zum Beispiel für Grünbrücken, könne die West-Trasse nicht rechtssicher verwirklicht werden, halten die Planer des Regierungspräsidiums dagegen.
Nach 102 mal mehr und mal weniger gut ausgebauten Straßenkilometern endet die B30 im Herzen von Friedrichshafen – relativ unspektakulär nahe des Bodensees. Die B30 ist dort mit der in Ost-West-Richtung verlaufenden B31 nach Sigmarszell beziehungsweise Breisach am Rhein verbunden. (Lesen Sie dazu auch: Die Bodensee-Autobahn - Die Geschichte einer Trasse, die nie gebaut wurde)
Mit der 2019 eröffneten Südumfahrung Kehlen sind bereits die Vorbereitungen getroffen worden, um die neue B30 in Zukunft im Norden an die Messe Friedrichshafen und den Flughafen zu führen. Bis es so weit ist, und das zeigen die Erfahrungen aus dem Verlauf der B30, können aber noch Jahrzehnte vergehen.
Die Bundesstraße und ihr Ausbau, aber auch der Schutz vor Unfällen, Lärm und Abgasen wird die Menschen in der Region vorerst noch länger beschäftigen. Sie werden somit ein ganz besonderes Interesse an einer Antwort auf die Frage haben, wie erfolgreich in Deutschland die Mobilitätswende gelingt.